Warum ist gerade „Gerade“ so in Mode?

Es gibt Formulierungen, die tauchen irgendwann aus dem Nichts auf und machen es sich in der geschriebenen Sprache bequem. Dort sitzen sie dann und führen in allen möglichen Texten ein sinnbefreites Dasein ohne Existenzgrundlage, außer jener, dass sie aus Gewohnheit verwendet werden – und mir auf die Nerven fallen :-). Zu dieser Spezies gehört die Einleitung eines Satzes mit dem Wort „Gerade“. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir scheint, wir erleben derzeit eine veritable „Gerade“-Mode. Heute ist mir wieder so eine eigenartige „Gerade“-Formulierung über den Weg gelaufen: „Lehrer, Krankenpfleger, Sozialarbeiter: Gerade im Öffentlichen Dienst gibt es viele Berufe mit hohem Burn-Out-Risiko.“ Warum steht hier „Gerade“? „Gerade“ ergibt meiner Meinung nach nur dann Sinn, wenn man einen Gegensatz betonen will, zum Beispiel: „Viele Menschen meinen, im Öffentlichen Dienst zu arbeiten, sei besonders angenehm. Doch gerade hier gibt es viele Berufe mit hohem Burn-Out-Risiko.“ Das ergäbe Sinn. Aber ein solcher Gegensatz fehlt in dem betreffenden Text komplett. Er fängt einfach so, ohne inhaltliche Bezugnahme, mit dem Wort „Gerade“ an. Was also eigentlich gemeint sein dürfte, ist „Besonders“: „Lehrer, Krankenpfleger, Sozialarbeiter: Im Öffentlichen Dienst gibt es besonders viele Berufe mit hohem Burn-Out-Risiko.“ Aber wenn das gemeint ist, warum steht es dann nicht da? Ich wünsche Ihnen einen besonders schönen Frühlingstag!

2 Meinungen zu “Warum ist gerade „Gerade“ so in Mode?

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  2. Niklas

    „Sein“ ist auch nicht mehr das, was es einmal war …..

    So wie gerade „Gerade“ so in Mode zu sein scheint, so scheint es auch immer mehr in Mode zu kommen unseren Lieblingsnachbarn (?) Tribut zu zollen. Wir sind schon gewöhnt, dass es in Österreich – zumindest in den Touristenzentren – oft nur noch Sahne statt Obers, Möhre statt Karotte, Kartoffel statt Erdapfel etc., etc. gibt. Dass wir aber auch die falsche Verwendung von sein und haben übernehmen, finde ich nicht gut.

    In deutsch (also nicht österreichisch) synchronisierten Filmen bekommen wir das leider viel zu oft vorgesetzt. Aber auch die Life-Kommentatoren sowohl im Österreichischen als auch im Deutschen Fernsehen lassen grammatikalische Sicherheit vermissen.

    So haben Vettl und Co. Runden gefahren und Benjamin Raich hat leider wieder keine Bestzeit gefahren; dafür hat Schlieri wieder eine Bestweite gesprungen.

    Wir wundern uns, dass die Jugendlichen beim Pisa-Test so entsetzlich schlecht abschneiden ? Ja wie sollen Sie es denn lernen, wenn Ihnen im täglichen Leben Falsches vorgelebt wird ?

    Sogar in Zeitungen und im Teletext (die Formulierungen dort sind überhaupt das Schlimmste) finden wir „fantastische“ Stilblüten dieser Art.

    Vielleicht bewirkt dieser Kommentar, dass die geneigte Leserschaft aktiv oder passiv darauf achtet und wir uns gemeinsam bemühen dieser Entwicklung gegenzusteuern !

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